Fragments towards the possible
FRAGMENT I
Ein Kaleidoskop an Klängen erfüllte den Raum; ein muslimischer Gebetsruf, die Welt fiel Mala zu Füßen, die Qual war so groß, dass sie die Bruchstellen füllte. Mala tanzte, als sähe niemand zu, obwohl der Raum bis auf den letzten Platz gefüllt war. Mala ist eine gendernonkonforme Performance-Künstler:in, Schriftsteller:in und politische Aktivist:in aus Marokko. Die Performance nLabyeeka Ya Hussein (“Oh Hussien”), was presented at the festival “Queer, and Now from stonewall to queertopia” held at the Munich kammerspiele in July 2019. They transformed the room into a sacred space in a decolonizing ritual. A ritual evoking insatiable sadness, I would like to say. A single teardrop fell from my eyes. They start with a cleaning practice to perform a prayer where ritual purity is required. This is achieved by a prayer aesthetic – partial washing or Wudu as it is also called in Arabic. They then dive deeper into the dance, spinning, thumping shoulders, and stamping heavily onto the stage. Mala’s performances emerge from their personal experiences.
Die Performance rekonfiguriert komplexe Identitätsvorstellungen eines:r queeren Muslims:a in eine Struktur aus Empfindungen, um Räume der Auseinandersetzung zu öffnen, die den Islam als queer und als Widerstand gegen autoritäre Konzepte des muslimischen Glaubens zurückzufordern.
In Disidentifications: Queers of Color and the Performance of Politics definiert José Esteban Muñoz den Begriff „Disidentification“ als einen performativen Modus taktischer Kennung Identifizierung, den verschiedene minoritäre Individuen einsetzen, um sich dem unterdrückenden und normierenden Diskurs der dominanten Ideologie zu widersetzen.[1] Malas Performance „nLabyeeka Ya Hussein“ ist demnach eine „Neuformatierung des Selbst innerhalb des Gesellschaftssystems“ und verkörperte eine Zweideutigkeit, eine queere Verklärung des Islam. Ich habe diese Performance erlebt und wurde mir der sich verschiebenden Möglichkeitshorizonte bewusst.
FRAGMENT II
Rae stand als Einzelfigur in all seiner Kraft auf der höchsten Plattform und vougte in seiner gemeinsamen Performance mit dem Aktivist:innenkollektiv Beyond Color aus München . Diese Performance verband Protest und Voguing und richtet den Fokus darauf, der Ausbeutung der Ballroomszene politisch Ausdruck zu verleihen.
„Voguing“, kommerziell bekannt durch Madonnas Video zu ihrem Hit „Vogue“, ist ein Tanzstil, der in den 1960er Jahren in der schwarzen, lateinamerikanischen und schwulen Ballroom-Szene von Harlem/New York entwickelt wurde. Der Tanzstil ist tief verwurzelt in der New Yorker LGBT-Community und verbreitete sich von dort aus auch in den Underground-Clubs in den USA und Europa. Voguing ist inspiriert von der Modezeitschrift Vogue, den modellhaften Posen und dem Laufsteg-Walk der Haute Couture. Mit den Stilen Old Way, New Way und Vogue Fem kombiniert dieser Tanzstil maskuline Posen aus dem Breakdance und dem Kampfsport mit femininen Posen, sehr weiche Bewegungen und das harte Ausführen von Winkeln, Kästen und Linien mit dem Körper/Armen im Takt.
Die ‘Lines’, Symmetrien und Präzision wurden mit Anmut und Kraft ausgeführt; Rae war in Topform, ein Anblick, in Anblick, den man so schnell nicht vergiss. Fast ein Jahr nach seinem Auftritt reflektiert Rae auf seinem Instagram-Account die Erfahrung:
„Wenn Menschen an die Ballroomszene denken, reden sie darüber, wie ‘fierce and fab’ jede:r ist. Aber mir, und ich denke vielen Schwarzen aus der Szene, ermöglicht Ballroom, unsere Körper als Orte der Lust , der Freude und des Widerstands in den Mittelpunkt zu stellen. Besonders dann, wenn unser Körper als Ort der Gewalt verstanden wird. Manche denken, dass wir das alles nur zum Spaß machen, aber ich stelle dann oft die Gegenfrage, warum wir uns wohl so sehr ins Zeug legen“. Als ich das las, dachte ich darüber nach, was es bedeutet, Schwarze Queer- und Trans*-Kunst in einem Raum zu schaffen und zu kuratieren, dessen Geschichte unsere Körper als Ort der Gewalt benannt haben .
FRAGMENT III
"Meine Helden hatten den Mut, exponiert ihr Leben
Und alles, woran ich mich erinnere, ist der Gedanke, dass ich wie sie sein will
Schon als ich klein war
Schon als ich klein war, sah es nach Spaß aus
Und es ist kein Zufall, dass ich hier bin.
Und ich kann sterben, wenn ich fertig bin
Aber vielleicht bin ich verrückt
Vielleicht bist du verrückt. Vielleicht sind wir verrückt Wahrscheinlich."
Naya Lips syncs to the Gnarls Barkley classic “Crazy” before going into one of her renowned comedy numbers. Naya, better known by her stage name Lux Venérea, is from Sertão of Brazil and is now based in Berlin. Apocalypse avant gardist. Tragic comedian. Underdeveloped activist. Fashion terrorist. Chef de cuisine. Believes in performance art as a way to re-experience the body and comedy as a tool to study oppression. Aims for unlearning, destruction and disobedience through her practices. Naya uses every medium she can to express the lost things in translation from language to language and the use of colonized languages themselves. Being herself a medium in fantasies-fetishist autobiographical storytelling, she holds vulnerability as a weapon pointed to the viewers. From comedy to profound “non-sober poetry”, she attempts to drive the viewers from tear to laugh with lots of friction to indicate the constant state of trauma surrounded by laughs/normalization experienced by herself and other dissident bodies.
Nayas Performance auf dem Queer and Now-Festival thematisierte Trans-Vorurteile, also die negative Stereotypisierung und Diskriminierung von Transgender-Personen durch die Pathologisierung von Trans-Identitäten als Geisteskrankheit und die Stigmatisierung von Menschen, die mit HIV leben. Wir standen beide kurz zuvor bei dem Pugs in Love Festival im Maxim Gorki Theater in Berlin auf einer Bühne, auf der sie angegriffen wurde, aber dieses Gespräch möchte ich hier nicht wieder aufgreifen. Indem ich mich dafür entschied, ihre Arbeit auf die Bühne der Kammerspiele zu bringen, war mir daran gelegen, ihr Raum für kreative Wut, Empowerment und Heilung zu bieten. Ich möchte vorschlagen, dass dieser Moment auch für das Publikum ein Moment gegenseitiger Heilung war. Ein Witz über Transgender-Personen wird am besten aus unserem Mund gehört: „Ich wurde bei der Geburt als problematisch eingestuft.“ Wir lachten aus tiefstem Herzen, und ist nicht Lachen Medizin für die Seele?
Fragment IV
Aus dem Lateinischen cūrātor („derjenige, der sich um eine Sache kümmert, ein Verwalter, Vormund, Treuhänder"), von cūrāre („sich kümmern“), von cūra (“care, heed, attention, anxiety, grief.)”
Dies war das erste Festival, das ich in einem institutionellen Rahmen kuratiert habe; ich habe viel über Sich-Kümmern und fürsorgliche Arbeit gelernt, die mit der Auswahl der Künstler:innen und der Gestaltung der gesamten Veranstaltung verbunden ist. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Liebesmüh, sich auf diese zermürbende Arbeit einzulassen. Zermürbend deshalb, weil es natürlich auch rassistische Vorfälle gibt, weil der weiße Blick thematisiert werden muss, all das muss berücksichtigt werden. Eine Herkulesaufgabe für einen einzigen Black Trans Body. Ich muss zugeben, dass ich mit einer gewissen Naivität an diese Aufgabe herangegangen bin, aber wir leben und lernen nicht nur aus dem eigenen Identitätsraum heraus, sondern aus vielfältigen Erfahrungshorizonten.
Ich möchte noch einmal auf die Frage zurückkommen, was es bedeutet, Queer- und Trans*-Kunst in Räumen zu schaffen und zu kuratieren, in deren Geschichte unsere Körper als ein Ort der Gewalt verstanden werden. Werden dadurch die Strukturen von Gewalt direkt angesprochen? Ich glaube nicht; ich möchte aber glauben, dass dadurch Hoffnung entsteht und die Grenzen unserer Vorstellungskraft für effektivere Formen der Repräsentation für Marginalisierte und Unterdrücktegesprengt werden. Repräsentation ist essenziell; sie eröffnet unendliche Möglichkeiten für mehr Empowerment.
Fragment V
Ich schrieb ein Gedicht, und das Gedicht tötete mich; das Gedicht fragte nach meinem Namen, ich wusste keine Antwort.
Audre Lorde’s seminal essay Poesie ist kein Luxus; sie schreibt: „Manchmal betäuben wir uns mit Träumen von neuen Ideen. Der Kopf allein wird uns retten. Allein das Gehirn wird uns befreien. Aber es gibt keine neuen Ideen, die noch in den Startlöchern warten, uns als Frauen, als Menschen zu retten; es gibt nur Altes und Vergessenes, neue Kombinationen, Extrapolationen und Erkenntnisse aus uns selbst, zusammen mit dem erneuerten Mut, sie auszuprobieren."[2]
I am carrying these words.I hold an insatiable sadness as I write this; perhaps it is a longing for the innocence lost while doing this work or a sense of failure for having not cared enough; maybe it’s the question that runs deep in my veins: Who cares for the carer?
Ich schrieb ein Gedicht, und das Gedicht tötete mich; das Gedicht fragte nach meinem Namen, ich wusste keine Antwort.
„Man wird nicht als Körper geboren, sondern man wird ein Körper. Und man wird nicht geboren, sondern wird zu einem Glitch. Das Glitch-Werden ist ein Prozess, eine gemeinsame Bewegung hin zur Multiplizität, das uns als Instrumente ausrüstet und uns als Apparate trägt. Es stützt uns als Technologie und drängt uns dazu, zu bestehen, zu überleben, am Leben zu bleiben.“ (Glitch Feminism von Legacy Russell)
Neu zu beginnen heißt, sich selbst zu gebären; heißt, zu werden. Ich fange neu an. Nur Mut!
Zitiervorschlag:
Keith Zenga King. 2021. “Fragments Towards the Possible.” In: Moving Interventions 1: Ambiguous Potentials // Performative Awakenings , December 2021. Edited by / Herausgegeben von: Sarah Bergh and Sandra Chatterjee, with Ariadne Jacoby (CHAKKARs – Moving Interventions), translated by: Anja Tracksdorf, copyedited by: Veronika Wagner. Published by / Veröffentlicht von CHAKKARs – Moving Interventions.
[1] Muñoz, Jose Esteban. 1999. Disidentifications: queers of color and the performance of politics, Cultural studies of the Americas; v. 2. Minneapolis; London: University of Minnesota Press, p.11.
[2] https://genius.com/Audre-lorde-poetry-is-not-a-luxury-annotated
Über die Autorin
Keith Zenga King is a multi-disciplinary artist, writer and curator from Uganda based in Munich, Her work lives at the intersection of queer discourse, performance and politics. (Photo by Camilla Berrio)