Der weiße Blick ist mein imposter Syndrom

Der weiße Blick ist mein imposter Syndrom

Der weiße Blick ist immer präsent, in Räumen in denen Geld, Macht, Zugänge und andere Ressourcen verhandelt werden. Und wenn er nicht im Raum ist, dann umschließt er den Raum.

Der weiße Blick ist eine innere und äußere Stimme, die sich selbst zur obersten Autorität erklärt

Die bestimmt was gut ist und was schlecht

Was richtig ist und was falsch

Was schön ist und was hässlich

Was wertvoll ist und was obsolet.

Der weiße Blick ist meistens auch ein männlicher Blick.

Der weiße Blick will mich definieren, er beschreibt mich der Welt, bevor ich die Möglichkeit habe mich selbst zu definieren und zu beschreiben.

Von Zeit zu Zeit schränkt er mich ein in meinem Schaffen,

denn er bestimmt den Rahmen und gibt die Struktur in der ich schaffen darf.

Dann lässt er mich wählen zwischen Token oder Aktivistin.

Gleichzeitig spornt er mich an, unermüdlich im ewigen Ringen nach Sichtbarkeit, Anerkennung, Wertschätzung und Gleichberechtigung. Stets nach seinen Konditionen.

Ich bin ihr aufgeliefert, der Gnade des weißen Blicks.

Ich darf hörbar und sichtbar sein, so lange wie der Blick auf mich und meine Geschichte schaut und hinhört.

Doch durch das bewusst werden, wird der innere Blick leiser, kleiner, weniger wichtig.

Er zieht sich zurück.

Und sein Rückzug bringt Freiheit und Verantwortung. 

Sie zeigt mir was ich wirklich denke und fühle. Zwischen mir und meinem Schaffen steht nun nichts mehr. Keine Autorität, kein Rahmen, kein Orientierungspunkt.

Was will ich mit einem Rahmen, an dem ich mich immer schneide, dessen Form mir nie passen wird, der mich immer in eine Richtung verweist in die ich nicht gehen möchte, selbst wenn ich könnte?

Ich kann nicht erzwingen, das die Welt mich sieht wie ich es will. Mein Körper ist kein unbeschriebenes Blatt.

Aber ich kann bestimmen was ich zeige und verhandeln an welchem Punkt wir uns treffen

“TO SEXY TO BE TAKEN SERIOUSLY“ – Eine Anekdote

Der weiße Blick ist mir zum ersten mal bewusst begegnet in der Abschlusspräsentation meiner ersten Solo Residenz. Das Publikum durfte kurze Feedback Sätze auf kleine Zetteln verfassen und sie den Performenden zukommen lassen. Alles anonym und ehrlich.
Ich weiss nicht, ob ich jemand bin der sehr Kritikfähig ist, insbesondere wenn diese von Personen kommt, die nicht im selben Feld tätig sind wie ich es bin.

Gleichzeitig glaube ich an universelle Gefühle, zu denen wir alle fähig sind, die wir verstehen und mit denen wir uns verbinden können und deshalb besitzen wir am Ende wahrscheinlich doch alle die Fähigkeit Kunst zu bewerten, auch wenn wir vom Handwerk im Detail nichts verstehen.
Ich fand die Idee jedenfalls gut und war gespannt auf die Rückmeldungen.
Ich gab das Beste, was ich in dem Moment zu geben hatte und die Reaktionen waren unterschiedlich, aber überwiegend positiv.

Auch die Kritikpunkte waren differenziert und hilfreich.
Nur ein Zettel hat mich stutzig gemacht. Dann verunsichert. Dann sauer.
Und dann eine völlig neue Perspektive eröffnet, der ich mir bis dahin nichts bewusst war.
“To sexy to be taken seriously“ So ungefähr lauteten die Worte.
Ich, wie wahrscheinlich viele andere Künstler*innen auch, habe die Angewohnheit mich an einem negativen Feedback aufzuhängen.Es wird laut, so laut dass die positiven Rückmeldungen in den Hintergrund rücken. “TO SEXY TO BE TAKEN SERIOUSLY“.

Ich überlegte, tagelang, ob die Qualität meiner Arbeit einfach nicht gut genug war, ob die vielen Zitate aus Literatur und Wissenschaft, die ich fleißig hab einfließen lassen, um die Ernsthaftigkeit meines Themas zu unterstreichen nicht gereicht hatten, um mich als Künstler*in zu legitimieren.

Und dann wurde es mir bewusst. Ich wurde getroffen vom weißen Blick.

Ein Blick, der meinen Körper und meine Bewegungssprache liest und einordnet. Der bestimmt was und wie es gesagt wird und ob es verdient, gehört und gesehen zu werden.

Der bestimmt, was Kunst ist und in welchem Rahmen sie stattfinden darf.

Er bewertete mich und führte mir vor Augen, dass ich evtl. nicht geeignet bin für diesen Raum.

Schwarz, weiblich, nicht akademisch ausgebildet. And it shows. We all know you don’t belong here.

 

Ich hatte also die Wahl, in Scham und Selbstkritik verfallen oder akzeptieren, das manche Dinge vllt nicht in meiner Macht liegen. Das ich nicht allen gefallen kann, nicht von jedem Applaus ernten und nicht von jedem verstanden oder validiert werde.

Diese Akzeptanz war ein Befreiungsschlag.

 

Er ließ mich noch tiefer in die Geschichten eintauchen die mich bewegen und treibt mich an die Sprache zu meistern, mit der ich sie erzählen will.

Den Blick zu dekolonisieren wird wohl immer ein unfreiwilliger Aspekt meiner Arbeit sein, einfach Aufgrund der Strukturen, in denen ich mich bewege.

Aber ich erlaube mir mehr und mehr, ihn nicht ins Zentrum oder als Ausgangspunkt meiner Arbeit zu legen.

Über die Autorin

Marie-Zoe Buchholz alias ZOE ist interdisziplinäre PerformanceKünstlerin und Kuratorin aus Düsseldorf. Die Inklusion, Sichtbarkeit, Rehabilitation und das Empowerment strukturell diskriminierter Personen und deren Geschichten stehen im Fokus ihrer Arbeit. Sie gehört zur ersten Generation Voguing Performer*innen in Deutschland und gilt als Leitfigur für die Ballroom Kultur im deutschsprachigen Raum. Sie war langjähriges Mitglied des House of Melody (heute House of Saint Laurent), dem ersten deutschen House, welches die Szene in Deutschland etablierte und von ZOE mit begründet wurde. Mittlerweile ist sie die German Mother of House of Elle, einem International etabliertem Ballroom House aus New York City.

 

Seit 2012 arbeitete ZOE an verschiedenen Produktionen u.a. am tanzhaus NRW, Düsseldorfer Schauspielhaus und dem HAU Berlin mit. 2017 wurde sie Teil des JITTA Kollektivs mit dem sie gemeinsam das Stück Chombotrope, einer deutsch-kenianischen Produktion (MOUVOIR) performte. Chombotrope erhielt den Kölner Tanzpreis 2017 und war seit seiner Premiere Gast in international renommierten Spielstätten und Festivals u.a. Berliner Festspiele, SPRING in Autumn - Utrecht, Mercat de les Flors, Barcelona und The Nairobi Festival of Performance and Media Art - Kenia.

Seit 2019 inszeniert ZOE eigene Arbeiten u.a. Black Magic - eine Hommage (Britney X Festival - Schauspiel Koeln, Int. Frauentag, Düsseldorf - D´Haus), Feminine Fragments zur Wiedereröffnung des HAU in Berlin und FEMINA SAGA - a ritual journey, ihre erste eigene abendfüllende Produktion, koproduziert durch das tanzhaus NRW.

Als Solo Künstlerin und mit dem von ihr mitbegründeten Kollektiv Shapes&Shades, kuratiert sie seit 2021 in Kooperation mit dem tanzhaus NRW, dem Theatermuseum Düsseldorf und dem Düsseldorfer Schauspielhaus regelmäßig Formate zur Förderung der Ballroom Kultur in NRW. 2021 wurde ZOE zudem Mitglied der Ethik Komission des Dachverband Tanz.

2021 wurde ZOE zudem Mitglied der Ethik Komission des Dachverband Tanz.

Im Jahr 2022 wurde ZOE mit dem ersten Community Legacy Award der deutschen Ballroom Community sowie dem Förderpreis für Darstellende Künste 2022 der Landeshauptstadt Düsseldorf geehrt.
ZOE lebt mit ihrem Partner und einer gemeinsamen Tochter in Düsseldorf.

 

Zoe
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