Rassismus im Tanz

„Was meinst du damit?“ werde ich oft gefragt, wenn ich in der lokalen Tanzszene das Thema Rassismus und weisse Privilegien anspreche. „Es gibt doch nirgendwo mehr Diversität als im Tanz! Schau dich um,“ wird mir vorwurfsvoll gesagt, „wir haben Tänzer:innen aus allen Regionen der Welt in unseren Companies!“

Es ist nicht immer einfach, mit dem Gefühl der „Nestbeschmutzerin“ und Provokateurin umzugehen. Immer diejenige zu sein, die auf das so oft verdrängte und - ja, ich weiss -unangenehme Thema Rassismus hindeutet. Je nach Tagesform entscheide ich mich manchmal einfach zu schweigen, oder das Thema nicht anzusprechen. Oft auch als Selbstschutz. Ich bin nämlich die einzige schwarze Tänzerin in der zeitgenössischen Tanzszene meiner kleinen, eher ländlichen Heimatstadt in der Schweiz.

Doch immer öfter entscheide ich mich nicht zu schweigen, die Tänzer:innen aus ihrem „happyland“ heraus zu drängen. Als Einstieg in die Diskussionen bitte ich die Beteiligten oft, sich folgende Szenerie auszudenken:

Stell dir vor, du befindest dich in einem abgedunkelten Raum.
Plötzlich ist da auch Musik zu hören! Erkennst du ihn, den groovigen off beat? Eine Person kommt in den Raum. Sie beginnt sich zu der lauten Musik zu bewegen, sie tanzt!
Du schaust der tanzenden Person zu. Na? Hast du Lust mitzutanzen? Versuch dich an dieses Bild zu erinnern und stell dir folgende Fragen:

Hattest du Schwierigkeiten dir die oben beschriebene Szene vorzustellen? Wenn nein, warum nicht? Wo/in welchem Raum fand die Szene statt?

Wenn nein, warum nicht? Wie sah der Raum aus, den du dir vorgestellt hast?

Welches Geschlecht hatte die tanzende Person? Hast du die Person weiblich gelesen? Warum? War die tanzende Person weiss? Wenn nein, wie sah sie aus? Warum?

Darauf folgen weitere Fragen, welche zur Selbstreflexion, aber auch als Anregung zu weiterführenden Diskussionen mit andern Menschen zum Thema Rassismus gedacht sind:

Wie würdest du den Unterschied von strukturellem und individuellem Rassismus erklären?
Wie oft schon hast du Social- und Clubdances wie Reggaetòn, Dancehall, Salsa, HipHop, ect. Auf renommierten klassischen (Tanz)Bühnen) gesehen?
Durch wen und was wurden dein heutiges Weltbild, deine Meinungen und Ansichten geprägt?

Wie sahen deine Lehrpersonen in der Schule, deine Nachbar:innen, deine Tanzpädagog:innen aus?

Wer waren/sind dein Vorbilder?

What are your ideals of beauty?

Wieviele BIPoC (Black Indigenous People of Colour) und Schwarze Performer:Innen kennst du, die im Theater eine leitende Postion einnehmen?

Schau dich um: Wieviele BIPoC und Schwarze Menschen sitzen im Publikum, wenn du auftrittst?

Sehr oft fühlen sich weisse Menschen durch solche Fragen ertappt, sind verunsichert und werden sich hoffentlich bewusst, welche Privilegien sie als weisse Tanzschaffende haben, auch wenn der Tanz innerhalb der Künste stiefmütterlich behandelt wird. Die Reaktionen auf diese Fragen und Diskussionsgrundlagen fallen unterschiedlich aus. Einige wenden sich ab, andere erklären mir, dass auch sie von unterschiedlichsten Diskriminierungen betroffen seien und ich mich nicht so aufspielen solle. Andere sind betroffen und so sehr verunsichert und beschämt über ihre Ignoranz oder ihr Unwissen, dass auch sie sich von mir abwenden und mich in Tanztrainings oder Foyers von Theaterhäusern meiden. Erfreulicherweise gibt es jedoch auch die Berufskolleg:innen, welche mich um Buchtipps und weiter Informationsquellen bitten, oder sogar fragen, was sie als weisse Menschen tun können, um etwas an den rassistischen Struktur in der Tanzwelt zu verändern.
Es sind diese Allys, die von Theaterleitungen und Vermittlungsstellen für darstellende Künste oder Kulturkommissionen fordern, dass Workshops zu critical whiteness und Rassismus für Kunstschaffende und deren Geldgeber:innen organisiert und sogar bezahlt werden. Solche Bewegungen innerhalb der Tanzszene und der Mut zu Veränderung und dem Willen sich mit seinen Privilegien auseinander zu setzten geben mit die Kraft, mich weiterhin als antirassistische Aktivistin und Tänzerin einzusetzen und ich glaube in meiner kleinen Stadt einen ersten Samen zur Veränderung gesetzt zu haben.

Woher ich die Kraft dafür schöpfe fragst du? Nun, es gibt da einen „safer space“, für mich: das Kollektiv le cercle essentiel bestehend aus 5 fünf Schwarzen und weissen Frauen* und zwei Musiker:innen, die sich seit 3 Jahren kritisch mit Themen der Gesellschaft auseinandersetzen. Durch die Kunstform Tanz und Musik nähern wir uns als Gruppe dem Thema Rassismus, Sklaverei und Kolonialismus und den damit verbundenen Form von Unterdrückung und Macht an. Die unterschiedlichen persönlichen und künstlerischen Hintergründe der Tänzerinnen führen dazu, die Performance durch unterschiedliche Tanzstile anzureichern. Die Gruppe entscheidet im Kollektivgedanken, setzt sich einen Fokus für eine Produktion und informiert sich zu dem gesetzten Ziel mit Fachpersonen. Die Erarbeitung einer Performance wird durch definierte Inhalte und den eigenen Erfahrungen der Tänzerinnen ergänzt. Der künstlerische Prozess in Tanz und Musik wird vom Choreografen Filbert Tologo aus Burkina Faso begleitet.

In unserer letzten Produktion „Résisdance!“ haben wir uns auf die Spuren der Auswirkungen von Sklavenhandel, Kolonialismus und Rassismus in der Berner Altstadt begeben. Wir haben den Einfluss der Kirche, der Kolonialmächte, der Wissenschaft untersucht und konnten im Rahmen unserer Recherchen auch die Rolle der Schweiz und ihre Verstrickung im transatlantischen kolonialen Ausbeutungssystem beleuchten. Diese Fülle von historischen Begebenheiten dienten als Basis für die Tanzperformance. Einen besonderer Fokus richtet le cercle essentiel auf eine wichtige oft verschwiegene Tatsache: die verschleppten Menschen und ihre Nachfahren waren nicht bloss willenlos und unterwürfig. Widerstand formte sich, sei es durch Revolten, Suizid auf dem Sklavenschiff, Flucht, Ritualen, Verweigerung, Tanz und Musik. Oder wie es auf dem Plakat einer BLM Kundgebung zu lesen war: „Respect my existence or expect my resistance!“

Insbesondere soll durch die Performance sichtbar gemacht werden, wie durch Positionierungen im Raum bereits Hierarchie hergestellt werden kann. Wer bestimmt darüber, wo sich welche Person bewegen kann, was sie darstellen darf? Wie wird die Grenze zwischen Eigenem und Fremdem gezogen und dem Fremden die Gleichwertigkeit abgesprochen? Gerne wird verdrängt, wie komplex dieses Thema in Wirklichkeit ist. Wenn Betroffene in der Schule, bei der Jobsuche, bei Polizeikontrollen etc. diskriminiert werden, ist das oft nicht einfach Zufall, sondern hat mit strukturellem Rassismus zu tun, der in Abläufen und Routinen angelegt ist – und somit gar nicht aufzufallen scheint. Mit unserem Stück wollen wir u.a. durch die Positionierung des Publikums, durch unsere eigenen Erfahrungen und durch Auslösen von Gefühlen dafür sensibilisieren, das Thema (bewusster) wahrzunehmen, zu reflektieren und im besten Fall zu handeln.

Als eine selber von Rassismus betroffene Tänzerin, spüre ich eine Art Katharsis auf körperlicher und geistiger Ebene, wenn ich mich tanzend zu solch aufgeladenen Themen wie Sklavenhandel und Kolonialismus ausdrücken kann. Ich spüre dabei auch, dass Zuschauer:innen durch die Performance emotional berührt und damit zum Nachdenken und Hinterfragen angeregt werden. Der Tanz bietet dabei eine alternative Ausdrucksmöglichkeiten in einer von Sprache dominierter Debatte. Durch den Tanz wird der Körper ins Zentrum gestellt; der Körper, der die Gewalt von Rassismus und Kolonialismus in all seinen Ausprägungen ertragen muss.

Zitiervorschlag

Altenburger, Pascale. 2022. “Racism in Dance“ In: Moving Interventions 2: 
Between Non-cooperation and Community-building Practices of Resilience in dance – through dance – because of dance, December 2022. Edited by / Herausgegeben von: Sarah Bergh and Sandra Chatterjee, with Ariadne Jacoby (CHAKKARs – moving interventions), translated into English by: Sandra Chatterjee. Published by /veröffentlicht von CHAKKARs – moving interventions.

Über die Autorin

Ich bin Tänzerin, Choreographin und Tanzvermittlerin und lebe in Bern (Schweiz). Der Tanz ist seit meiner frühesten Kindheit meine grosse Liebe und ist es bis heute geblieben.

Nachdem ich im Laufe meines Lebens in klassischem Ballett, Jazz- und Moderndance, Afro, Salsa und Zeitgenössischem Tanz aus - und weitergebildet wurde, durfte ich bei einem längeren Aufenthalt in New York den groove, die Energie, das Gemeinschaftsgefühl und die unterschiedlichsten Facetten des Tanzes in der HopHop Kultur entdecken: ich war „zu Hause“ angekommen!!

ch kenne den Tanz aus der Perspektive der Bühnentänzerin, Choreographin, Vermittlerin, dem Abtanzen im Club und der Tanz- und Theaterwissenschaft.

Das Kollektiv le cercle essentiel besteht aus 5 Fünf Schwarzen und weissen Frauen* und zwei Musiker:innen, die sich seit 3 Jahren kritisch mit Themen der Gesellschaft auseinandersetzt. Durch die Kunstform Tanz und Musik versucht sich die Gruppe aktuellerweise dem Thema Rassismus und Kolonialismus u.a. in Form von Unterdrückung und Macht anzunähern. Die unterschiedlichen persönlichen und künstlerischen Hintergründe der Tänzerinnen führen dazu, die Performance durch unterschiedliche Tanzstile anzureichern. Die Gruppe entscheidet im Kollektivgedanken, setzt sich einen Fokus für eine Produktion und informiert sich zu dem gesetzten Fokus mit Fachpersonen. Die Erarbeitung einer Performance wird durch die fokussierten Inhalte und den eigenen Erfahrungen der Tänzerinnen ergänzt. Der künstlerische Prozess in Tanz und Musik wird von einem professionellen Choreografen begleitet.

Pascale Altenburger

Bern

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